Das Mädchen sieht echt klasse aus. Zwar ist ihr Gesicht panisch verzerrt, und aus einer tiefen, klaffenden Wunde in ihrer rechten Wange, die bis auf den Kieferknochen geht, strömt jede Menge Blut, trotzdem strahlt sie noch diese anmutige Schönheit aus, die aus Jungs Helden werden lässt. Nur in Unterwäsche gekleidet, flüchtet sie einen leeren Gang hinunter, auf dem das grüne Notausgangsschild die einzige Lichtquelle ist. Beide Hände vorgestreckt taumelt sie auf eine Pendeltür zu, drückt sie auf und hinterlässt zwei blutige Abdrücke auf dem weißen Metall. Bevor die Türen zurückschwingen, wirft sie einen schnellen Blick über ihre Schulter, und sieht den riesigen Schatten an der Wand. Er folgt ihr noch immer.
Sie versucht zu rennen, stolpert und torkelt aber nur von einer Wand gegen die andere. Ihre nackten Füße platschen auf gelben Linoleumboden. Aus einer weiteren Stichwunde in ihrem Rücken, unterhalb der linken Schulter, fließt Blut und färbt ihren Slip rot. Sie spürt ihr Kräfte schwinden. In ihrem Kopf verschwimmt alles zu einer nebelartigen Substanz. Sie kennt sich nicht aus, weiß nicht wohin, rennt und stolpert, bis ihr die Kraft ausgeht, und sich vor ihren Augen alles zu drehen beginnt. Da, eine Tür! Sie stürzt hindurch und findet sich wieder in einem von PC-Monitoren nur diffus beleuchteten Raum. Dort steht ein großes, kastenförmiges Gerät mit einer tunnelartigen, sehr engen Röhre in der Mitte: ein Körperscanner, wie er zu medizinischen Zwecken benutzt wird. In der Dunkelheit erscheint ihr diese Röhre als ein ausgezeichnetes Versteck. Es widerstrebt ihr zwar, hinein zu kriechen, aber sie kann sich kaum noch auf den Beinen halten, ihr bleibt also gar nichts anderes übrig. Im Innern des Gerätes ist es dunkel, kalt und still, und sie hört nur noch ihren eigenen rasenden Atem und ihr dröhnendes Herz.
Doch dann öffnet sich leise die Tür, und jemand spricht mit melodischer Stimme: „Versteck dich ruhig, ich find dich doch, schaue auch ins kleinste Loch.“
Ein elektrisches Summen ertönt, und die gepolsterte Fläche, auf der sie liegt, setzt sich mit einem Ruck in Bewegung und fährt sie langsam, Zentimeter um Zentimeter, aus dem Gerät heraus. Das Mädchen zieht die Beine an, macht sich klein, versucht nach hinten zu krabbeln, doch dort gibt es kein Entkommen. Und vor dem einzigen Ausgang steht der Mann in schwarzem Umhang, die Hand hoch erhoben. Die lange Klinge eines Messers blitzt auf. Er sticht auf sie ein, wieder und wieder, während das Gerät sie unnachgiebig aus sich heraus schiebt, ohne dass sie sich dagegen wehren kann. Das Wort Körperscanner bekommt eine völlig neue Bedeutung, denn als das Mädchen sich nicht mehr rührt, kann man wirklich in ihren Körper hineinschauen.
Hallo , Freunde und Feinde meines Movietalk-Blogs! Diese Szene aus dem neuesten Horror-Streifen „Slasher on the floor“ hat mir am besten gefallen. Ich komme gerade mit meinem Mäuschen aus dem Kino ( man, die hat vielleicht gekreischt, solche Laute bekomme ich im Bett nicht aus ihr heraus ) und muss euch einfach sofort an dieser Szene teilhaben lassen. Echt klasse! Mein Tipp: Zieht euch den Film rein. Während der Dreharbeiten soll wirklich eine Schauspielerin ums Leben gekommen sein, und deren Vater befindet sich jetzt auf einem Rachefeldzug. Aber das ist sicher nur wieder ein PR-Gag, solche Sachen ziehen die in Hollywood ja dauernd ab.
Und da kommt auch schon die erste Reaktion! Man, ihr seit ja richtig schnell heute. Mal sehen, wen haben wir denn da? Hm, was soll denn der Mist. Habt ihr schon mal einen verschwommen Absender gesehen, so als ob im Drucker die Patrone leer gewesen wäre? Echt merkwürdig. Ich soll diesem Link folgen steht da. Na gut, warum nicht. Scheint sich auch um so eine PR-Sache zu handeln. Ich kopiere den Inhalt gleich mal hier rein:
Herzlich Willkommen bei Blog-Buster Klick nicht gleich weiter. Nimm dir ein paar Minuten Zeit und erfahre, was dieser Blog für dich tun kann. Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, Menschen mit einer starken Affinität zum Tod ein wenig, na, sagen wir mal, auf die Sprünge zu helfen. Du siehst dir gern Filme an, in denen Menschen getötet werden? Du kannst gar nicht genug davon bekommen und bist bei jeder sneak-preview dabei? Dann bist du in diesem Blog genau richtig. In deiner Rolle als Kinovoyeur zeigst du ein veritables Interesse am Tod Anderer. Aber das ist nur ein Film, nicht wahr, nicht der ultimative Kick, den du doch eigentlich suchst. Wir wäre es, wenn ich es für dich Realität werden lasse? Nicht nur zuschauen, sondern wirklich erleben, wäre das nicht cool. Dagegen ist Kino doch lahm. Mit diesem schönen Mädchen im Film, erinnerst du dich an ihren Namen, Amber, hast du mitgefiebert, hast dich um sie gesorgt, dir gleichzeitig aber auch gewünscht, der irre Mörder möge sie erwischen, nicht wahr. Und nun stell dir vor, wie es wäre, diese Angst, die du für das Mädchen im Film empfunden hast, für ein Mädchen im realen Leben zu empfinden. Würdest du dir dann auch noch wünschen, der Täter möge sie erwischen? Ich weiß, diese Frage ist nur schwer zu beantworten, dafür fehlt dir schließlich die Erfahrung. Und genau hier kommt mein Blog ins Spiel. Ich werde dich die Erfahrung lehren. Keine Angst: du brauchst dich um nichts zu kümmern. Ich mache das für dich. Ich hole den Tod in dein Leben.
Man, das ist ja echt krank. Wenn das eine Werbekampagne für den Film „Slasher on the floor“ sein soll, sind die echt zu weit gegangen. Ich hab mich da ausgeloggt, aber ich bekomme diese Tondatei nicht gelöscht. So etwas habe ich auch noch nicht erlebt. Kann mir vielleicht jemand damit helfen? Seitdem ich auf diesem Blog war, läuft das Ding auf meinen Media-Player auf und ab. Hört euch das mal an, ich werde nicht schlau daraus.
„Meinem Blick entgehst du nicht, kenne ich doch dein Gesicht … meinem Blick entgehst du nicht, kenne ich doch dein Gesicht … meinem Blick entgehst du nicht, kenne ich doch dein Gesicht …“
Ich kann weder den Media-Player ausschalten, noch die Datei löschen. Ich glaube, ich stelle jetzt einfach die Lautsprecher ab, damit ich diese kranke Stimme nicht länger hören muss, aber es macht mich echt fertig, dass die Datei noch auf meinem Rechner ist. Entweder hat da jemand beim Programmieren Mist gebaut, oder aber …
Moment mal. Ich stelle gerade fest, dass meine Webcam die ganze Zeit Aufnahmen gemacht und versendet hat. Aufnahmen von meinem Gesicht. Ich kann nicht nachvollziehen, wohin die Fotodateien gesendet wurden. Irgendjemand hat sich Zugriff auf meinen Rechner verschafft und Fotos von mir gemacht. Man, jetzt verstehe ich erst, wie diese Tondatei gemeint ist. Wer auch immer hinter diesem Blog steckt, kennt jetzt nicht nur mein Gesicht, sondern wahrscheinlich auch noch meine Adresse. Mir wird das zu unheimlich. Ich trenne sofort die WLan-Verbindung meines Rechners und warte erst mal ab. Ich werde später noch einmal versuchen, online zu gehen und lasse euch auf meinem Movietalk-Blog wissen, wie es gelaufen ist und …
Hey, was ist das? Da kommt ein Video rein und öffnet sich wie von Geisterhand. Wie zum Teufel ist das möglich? Ich kann nicht mal mehr den Rechner abschalten. Ich ziehe jetzt einfach den Stecker und werde … Moment … Das gibt es doch gar nicht. Das Haus in dem Video kommt mir so bekannt vor. Das ist doch …
Leute, ich weiß nicht was hier läuft, aber ich schreibe mit, was ich gerade sehe. Das wird immer beängstigender. Die Aufnahmen stammen von einer Hand- oder Helmkamera mit geringer Auflösung. Das Bild ist grobkörnig verpixelt und hat einen leichten Grünstich, so ähnlich wie Nachtsichtgeräte, außerdem wackelt es bei jedem Schritt, den der Träger der Kamera auf das Haus zugeht. Ich kenne diese Zufahrt und die beiden sauber gestutzten Eiben neben der Eingangstür. In diesem Haus lebt Silvie mit ihren Eltern, die übers Wochenende mit meinen Eltern unterwegs sind. Deswegen war es auch geplant gewesen, bei ihr zu übernachten. Sie hatte mir versprochen, endlich mit mir zu schlafen, nachdem wir jetzt schon drei Monate zusammen sind und außer Fummeln nichts gelaufen ist, aber dieser Film hat den ganzen Abend versaut. Wir haben uns ein bisschen gestritten, weil Silvie meinte, ich würde mich wie ein kleiner Junge verhalten, nur weil ich sie bei den Schlitzer-Szenen ordentlich erschreckt habe. Geht sie deshalb nicht ans Telefon? Ich versuche die ganze Zeit sie zu erreichen. Ich muss sie doch warnen. Dieser Typ, der den Videostream auf meinen Rechner speist, steht jetzt vor ihrer Haustür. Er klingelt. Verflucht, das darf doch nicht wahr sein. Er trägt schwarze Handschuhe und ein Messer in der rechten Hand, mit dessen Spitze er den Klingelknopf drückt.
Mach nicht auf, Silvie. Bitte, bitte mach nicht auf.
Die Polizei, ich muss die Polizei rufen. Aber die werden mir kein Wort glauben. Bis ich denen erklärt habe … Oh nein! Die Tür geht auf. Die Kamera hält genau auf Silvies Gesicht. Meine Süße reißt erschrocken die Augen auf, aber sie versteht nicht.
„Ricky, bis du das? Was soll der Mist? Denkst du wirklich, auf diese Art kommst du in mein Bett. Und vor dieser lächerlichen Filmverkleidung und dem Plastikmesser habe ich sowieso keine Angst.“
Sie denkt, es wäre ein Scherz. Sie vermutet mich hinter der Verkleidung. Lauf weg, Silvie, verdammt, lauf doch weg.
Aber sie reißt nur die Hände hoch, und irgendwas wischt durchs Bild. Was war das? Silvie taumelt zurück. Blut läuft ihren Arm hinunter. Er hat ihr in die Hand geschnitten. Dieser Drecksack hat ihr wehgetan. Lass sie in Ruhe, hörst du. Lass meine Kleine in Ruhe, sonst bringe ich dich um.
Silvie kapiert endlich, dass das kein Scherz ist. Sie dreht sich um und läuft. Nein, nicht die Treppe hinauf, nicht ins Obergeschoss, da sitzt du in der Falle. Sie kann mich nicht hören, läuft trotzdem hinauf und verschwindet hinter der Biegung. Die Kamera folgt ihr langsam und ich kann den Irren schwer atmen hören. Jetzt hält er das Jagdmesser ins Bild. Silvies Blut klebt daran. Es ist das gleiche Messer wie aus dem Film. Er steigt die Treppe hinauf und hält die Kamera auf die blutigen Abdrücke, die Silvie auf dem weißen Treppengeländer hinterlassen hat.
Versteck dich! Ich helfe dir, ich rufe die Polizei.
Er ist jetzt im ersten Stock und geht auf die Zimmertür zu, auf dem ihr Name steht. Sie wird sich doch nicht in ihrem Zimmer versteckt haben, so wie diese dummen Hühner in den Filmen es immer tun, weil sie sich dort am sichersten fühlen. Seine behandschuhte Hand legt sich auf die Klinke, er atmet jetzt sehr schnell, so als ob er erregt wäre. „Versteck dich ruhig, ich find dich doch …“ Diese verfluchte Tondatei, warum geht … Nein, das ist er selbst, er spricht diesen Satz und stößt die Tür auf. Es ist dunkel im Zimmer, ich kann so gut wie nichts sehen, die Kamera wackelt. Was macht er, mein Gott, was macht er mit ihr? Silvie schreit. Sie schreit sich vor Angst die Seele aus dem Leib.
Abrupt verstummen ihre Schreie, und es wird still. Still und dunkel. Ich kann nichts sehen und höre nur noch den leisen Atem des Mannes, der die Kamera trägt. Er atmet schnell, so als hätte er sich angestrengt. Ich weiß, ich sollte sofort aufspringen und zu Silvie hinüberfahren, aber meine Beine bewegen sich nicht. Ich bin in Schockstarre verfallen und kann nichts anderes tun, als auf meinen Bildschirm zu starren. Auf diesem verfluchten Blog, den ich so leichtsinnig angeklickt habe, läuft immer noch der Videostream, selbst wenn ich es wollte, könnte ich ihn nicht löschen. Ich will ja auch gar nicht. Ich muss doch wissen, was mit meiner Kleinen passiert ist. Das darf doch alles gar nicht wahr sein.
„Hallo Blogger. Bist du noch da?“
Verflucht! Habt ihr das gehört? Das ist seine Stimme. Die Stimme dieses verrückten Typen.
„Und? Hat dir meine kleine Show gefallen, Blogger? Ist das der Slasher-Thrill nachdem du dich gesehnt hast? Dieser Realismus ist doch geil, oder. Viel besser als Kino. Aber hey, mein Freund, das ist längst nicht alles. Die Show geht noch weiter. Jetzt bist du an der Reihe, Blogger. Ab jetzt bist du nicht mehr Zuschauer, sondern Teil der Geschichte. Also: Lauf schon los, ich zähl bis zehn, dann werde ich dich suchen gehen.“
Aus der grobkörnigen Dunkelheit der Videoaufnahme schält sich langsam ein Bild. Ich kann verfolgen, wie der Irre rückwärts das Zimmer verlässt. Im Hintergrund kann ich Silvies Bett erkennen, in dem sie heute Nacht eigentlich ihre Unschuld hätte verlieren sollen. Ist das Blut auf dem Laken? So viel? Jetzt zieht er die Tür zu Silvies Zimmer hinter sich zu und hinterlässt einen blutigen Handabdruck auf dem hellen Holz. Die Kamera verweilt einen Moment auf diesem Abdruck, zoomt ganz nah heran, sodass ich die hellen Unterbrechungen der Handlinien erkennen kann. Ich weiß, was er mir damit sagen will. Silvie ist tot. Ich kann ihr nicht mehr helfen, die Polizei kann ihr nicht mehr helfen, auch wenn sie bereits auf dem Weg ist.
Die Kamera geht aus und der Videostream verschwindet von meinem PC. Auch die Tondatei verstummt. Von einer Sekunde auf die andere sieht es so aus, als sei nie etwas passiert, als hätte ich mir das alles nur eingebildet. Aber der blutige Handabdruck … ich habe ihn doch gesehen! Ich sehe ihn immer noch, so als wäre er auf meiner Iris eingebrannt.
Ich muss hier weg, muss mich in Sicherheit bringen. Von Silvies Haus bis zu mir dauert es mit dem Wagen nur fünf Minuten. Was, wenn der Irre jetzt auf dem Weg zu mir ist? Man, was habe ich dem denn getan? Ich habe mir doch nur einen Film angeschaut. Was soll diese Scheiße eigentlich.
Leute, ich kann jetzt nicht mehr schreiben, ich muss echt weg. Falls jemand mitliest: Ruft bitte die Polizei an und erzählt denen, was vorgefallen ist. Erzählt denen bitte auch von der Internetadresse. Vielleicht finden die ja heraus, wer dahinter steckt, denn eines ist klar: Wer auch immer Silvie getötet hat, steht mit dieser Seite in Verbindung. Aber, Leute, tut mir einen Gefallen: Klickt die Seite nicht an. Auf gar keinen Fall. Möglicherweise passiert euch sonst das gleiche wie mir. Ich stelle die Adresse jetzt hier ein, damit ihr sie an die Polizei weitergeben könnt. Aber bitte, bitte, klickt sie nicht an!
http//:Slasher_on_the_floor/Blog-Buster
Hallo Blogger!
Hast du den Link doch angeklickt, trotz Rickys eindeutiger Warnung? Warum? Hat dir der Thrill noch nicht gereicht, oder interessiert dich einfach nur, was mit dem armen Jungen geschehen ist? Teilst du etwa sein Interesse am Tod anderer Menschen, selbst wenn er nur im Film oder, wie hier, im Blog stattfindet? Hast du dich ebenfalls lustig gemacht über meine Amber, als sie in dieser Szene im Film bestialisch abgeschlachtet wurde? Okay, diesen Link trotzdem anzuklicken ist allein deine Entscheidung, aber wo du schon einmal hier bist, werde ich dir verraten, was aus Ricky geworden ist. Aber zuvor die allerletzte Warnung: Wenn du weiterliest, wirst du Rickys Schicksal teilen.
Ricky ist natürlich viel zu lange vor seinem PC sitzen geblieben, um sich in seinem Blog zu profilieren. Statt seiner Freundin sofort zu helfen, hat er seine Blog-Fangemeinde wissen lassen, wie sie getötet wird. Das ist ein Höchstmaß an Perversion und Feigheit, wie ich finde, aber über Tote soll man ja nicht schlecht sprechen, nicht wahr. Als er endlich kapiert hatte, worum es geht, war es zu spät. Ist dir das noch nie aufgefallen, Blogger, dass die Mädels in den Horrorfilmen die richtigen Entscheidungen immer zum falschen Zeitpunkt treffen? Aber nicht nur die sind so blöd, auch Ricky. Er ist aus seinem Zimmer im Obergeschoss des Hauses hinüber ins Schlafzimmer seiner Eltern gelaufen, um die Waffe zu suchen, von der er wusste, dass sein Vater sie besitzt. Gefunden hat er sie nicht, konnte er auch nicht, denn ich habe sie zuvor entfernt – ich bin nämlich nicht blöd. In seiner Panik verschwendete Ricky viel Zeit. Kostbare Zeit, die ihm eigentlich nicht mehr zur Verfügung stand. Er hat während der Suche angefangen zu heulen, und ich will einfach mal hoffen, dass er Tränen für seine Freundin vergossen hat und nicht nur für sich, aber du weißt ja, wie das mit der Hoffnung ist. Ohne die Waffe ist er schließlich panisch ins Erdgeschoss des Hauses hinunter gelaufen und hat dort alle Fenster und Türen überprüft und gesichert. Statt das Haus zu verlassen, und sich irgendwo in Sicherheit zu bringen, wo ich ihn nicht finden würde, verbarrikadierte er sich genau dort, wo ihm am meisten Gefahr drohte. Und wieder handelte er so kopflos und dumm wie die Mädchen im Film, über die er sich vor ein paar Stunden noch lustig gemacht hatte.
Schließlich hatte er noch die grandiose Idee, aus der Küche ein Messer zu holen, und damit ist er unter den Wohnzimmertisch gekrochen, über dem eine lange Decke hängt. Das alles habe ich vom Fenster aus beobachtet. Ich hatte Zeit genug, da der Videostream schon zwei Tage vor der sneak-preview gedreht worden war. Diese Warnleuchten, die das Einsatzlicht eines Polizeiwagens nachahmen, gibt es im Internet für ein paar Euro. Mein Komplize hat das Ding eingeschaltet, es auf dem Rasen vor Rickys Haus abgestellt, während ich an der Tür geklingelt und geklopft, und immer wieder „Hier ist die Polizei, machen Sie bitte auf“, gerufen habe. Im Film hatte Ricky noch behauptet, er würde auf diesen billigen Trick nie hereinfallen, aber da hat er wohl unterschätzt, wie sehr man sich Hilfe herbei sehnt, und jede Vorsicht in den Wind schießt, wenn das eigene Leben auf dem Spiel steht. Man will einfach glauben, dass es die Polizei ist.
Tja, der Trottel hat die Tür geöffnet. Davor stand ich in diesem albernen schwarzen Kostüm mit dem überteuerten Plastikmesser in der Hand, an dessen Klinge ich mit Nagellack Blutschlieren gemalt habe. Ricky hat geschrien wie am Spieß, und ich glaube, er hat sich in die Hose gemacht, aber ich habe ihn nicht danach gefragt, weil es einfach zu peinlich war. Eines könnt ihr mir glauben: Nie wieder wird Ricky sich in solchen Filmen über die Fehler der Schauspieler lustig machen, und, was noch viel wichtiger ist, nie wieder wird er mich mit solchen Filmen erschrecken.
Liebe Grüße, eure Silvie.
(©) by Andreas Winkelmann